Wenn man nach der Winterpause wieder auf das Fahrrad steigt, gibt es wohl drei Bereiche, die so gut wie jedem Radfahrer schon einmal Probleme bereitet haben: Nacken, Rücken und Knie. Eine kurze Anleitung von Dr. Christopher Edler, dem Mannschaftsarzt vom Radteam BORA – hansgrohe, wie Amateur- und Hobbysportler Nackenschmerzen vermeiden können.

Chris, wie verbreitet sind eigentlich Nackenschmerzen im Radsport?

Man kann davon ausgehen, dass gut die Hälfte aller Radsportler regelmäßig oder wiederkehrend unter Nackenschmerzen leiden. Die Intensität schwankt dabei jedoch sehr. Für manche ist es eher nur unangenehm, für andere wiederum tatsächlich schmerzhaft, weshalb dann Trainingspausen eingelegt oder sogar Fahrten unterbrochen werden müssen.

Gilt das auch bei den Profis?

Auch Profis können mit dem Nacken Probleme haben, in der Regel aber weniger als im Amateurbereich. Was den Nacken betrifft, hat es oft mit Gewöhnung und Routine zu tun bzw. der langfristigen Anpassung der Haltemuskulatur. Die Profis fahren und trainieren ja im Prinzip das ganz Jahr hindurch, wodurch die Nackenmuskulatur im besten Fall auch das ganze Jahr über gleichmäßig beansprucht ist. Macht man längere Pausen, z.B. über den Winter, nimmt die Kraft der Nackenmuskulatur bei fehlender Belastung schnell wieder ab, was in Nackenschmerzen resultiert, sobald man sich im Frühjahr wieder auf den Sattel setzt.

Die Nackenmuskulatur wird auf dem Rad anders beansprucht als in unserer aufrechten alltäglichen Körperhaltung, dementsprechend wird sie bei Nichtbeanspruchung geschwächt. Bei den Profis kommt es wahrscheinlich häufiger auf dem Zeitfahrrad zu Nackenschmerzen, da in dieser Position die Halswirbelsäule und die umgebende Muskulatur noch stärker belastet ist. Denn: Je kleiner der Winkel zwischen Brust- und Halswirbelsäule ist, desto größer die Belastung der Wirbelgelenke und Bandscheiben. Daher treten in der Aeroposition auf dem Zeitfahrrad leichter Probleme auf.

Wie muss man sich das vorstellen?

Da der Kopf aerodynamisch sehr wichtig ist, wird auch die optimale Kopfhaltung entsprechend trainiert. Dies ist aber meist eine eher ungünstige Position, was die Belastung der Muskulatur betrifft. Man muss den Kopf zwischen die Schultern ziehen, die Halswirbelsäule nach vorne bringen und dann den Kopf reklinieren, also nach hinten neigen. Das ist eine sehr unnatürliche Haltung und es kommt vermehrt zu Verspannungen und einer unnatürlichen Druckverteilung in der Wirbelsäule.

Wenn es Probleme im Nackenbereich gibt, wie kommen diese zustande?

Hier macht es keinen Unterschied, ob man Profi oder Amateur ist. Normalerweise befindet sich der Kopf gerade über der Wirbelsäule, in dieser Position ist wenig Haltearbeit der Muskulatur erforderlich. Der Kopf muss lediglich in verschiedene Richtungen bewegt werden. Auf dem Fahrrad ist der Kopf aber – von der Seite betrachtet – vor dem Oberkörper und das Tragen des Kopfes wird von der passiven, knöchernen Struktur der Wirbelsäule hauptsächlich auf die aktive Struktur der Muskulatur übertragen. Entsprechend mehr und anders ist diese dann gefordert. Eigentlich stabilisieren kleine Muskeln im Nacken den Kopf in seiner natürlichen Bewegung, aber in dieser Position auf dem Fahrrad tritt die Schultermuskulatur mit Trapez und Schulterblattheber in eine Unterstützungsrolle, die auch dabei helfen muss, den Kopf nach hinten zu ziehen. Schon wenige Minuten in dieser Position führen bei Untrainierten zu Verspannungen.

Gibt es noch weitere Ursachen für Nackenprobleme?

Sind die Probleme muskulär bedingt, dann kann man das relativ schnell durch Massage und Physiotherapie in den Griff bekommen. Hier haben wir auch im Team kräftige Unterstützung durch Therapeuten, die sich mit den Bewegungsmustern auskennen und die Fahrer behandeln. Wird die Muskulatur in der Folge auch entsprechend gestärkt, kommen die Probleme eigentlich auch eher selten wieder, außer man verändert etwas an der Sitzposition. Allerdings können Nackenprobleme ihre Ursache auch in der Struktur der Wirbelsäule haben. Es muss also nicht bedeuten, dass das Radfahren die Ursache ist, sondern diese „Verschleißerscheinungen“ überhaupt erst in der sportlichen Position auf dem Rad symptomatisch werden. Die Wirbelkörper sind über kleine Gelenke miteinander verbunden. An diesen Facettengelenken kann sich Arthrose entwickeln. Ist das der Fall, spürt man wahrscheinlich einen eher lokalisierten Schmerz, der vor allem zu Beginn des Trainings auftaucht und sich im Verlauf eventuell bessert.

Sind hingegen die Bandscheiben der Halswirbelsäule betroffen, kommt es meist nicht nur zu einem lokalen Schmerz im Nackenbereich, sondern oft auch zu einem Ausstrahlen in die Arme und Hände. Entweder ziehen die Schmerzen über die Spinalnerven und den Plexus brachialis bis in die oberen Extremitäten vor, oder man bekommt ein kribbelndes oder taubes Gefühl.

Sollte dieses Gefühl in Armen und Händen über eine längere Zeit bestehen und nach dem Training nicht rasch wieder vergehen, sollte man einen Arzt aufsuchen, um das Ausmaß des Bandscheibenvorfalls in der Halswirbelsäule zu beurteilen.

Behandlungen stellen sich in diesen Fällen wohl auch schwieriger dar, richtig?

Generell bietet sich bei den angesprochenen Problemen definitiv zunächst eine konservative Therapie an – es sei denn, der Arzt entscheidet auf Grund seiner (meist bildgebenden Diagnostik) anders und es liegt eine Strukturverletzung vor, die operativ angegangen werden muss. Das ist aber bei den Problemen, über die wir hier sprechen, eher selten. Konservative Therapie bedeutet in diesem Fall vor allem Physiotherapie zur Stärkung der beanspruchten Muskulatur. Man kann aber auch noch an anderen Schrauben drehen wie z.B. den Fahrkomfort verbessern. Beispiele dafür wären breitere Reifen, die man mit weniger Reifendruck fahren kann, wodurch die Dämpfung verbessert wird, gepolsterte Radfahrhandschuhe oder ein dickeres Lenkertape.

Vom Griff zu Schmerzmitteln würde ich in diesem Fall abraten, zumindest im Zuge der sportlichen Belastung. Ist die Nackenproblematik durch Kräftigungsübungen und Physiotherapie nicht in den Griff zu bekommen, sollte man einen Arzt aufsuchen und gemeinsam mit ihm eine Lösung für das Problem finden. 

Kommen wir von den Ursachen zur Prävention. Wie lassen sich Nackenprobleme vermeiden?

Wie bereits angesprochen, ist die Sitzposition entscheidend. Als Hobbysportler sollte man sich hierbei nicht unbedingt die Profis als Vorbild nehmen. Die Aerodynamik wird im Profisport immer entscheidender und die Sitzpositionen daher entsprechend aggressiver. Profis trainieren aber eben entsprechend viel und das nicht nur auf dem Rad, sondern auch allgemein im Athletikbereich, der auch gerade bei uns einen größeren Stellenwert einnimmt. Als Amateur sollte man eine Position einnehmen, die ein wenig aufrechter ist, damit der Winkel zwischen Hals- und Brustwirbelsäule nicht zu klein ist. Grundsätzlich geht es aber vor allem darum, seine Haltung ganz allgemein zu verbessern, indem man seine Muskulatur generell stärkt – auch abseits vom Rad.

Warum ist die gezielte Stärkung der Nackenmuskulatur so wichtig?

Wir neigen im Alltag dazu, unsere Rückenmuskulatur, inklusive des Nackens zu vernachlässigen. In den meisten Alltagshaltungen sind wir nach vorne gebeugt mit nach unten gesenktem Blick, im oberen Rücken rund und die Schultern nach vorne fallen gelassen – eine typische Haltung am Schreibtisch oder beim Autofahren. Dadurch verkürzen sich die Muskeln im Brustbereich und werden schwächer im Rücken- und Nackenbereich. Es kommt zu Verspannungen, die sich häufig bereits im Alltag bemerkbar machen. Wenn dann beim Sport die Rückenmuskulatur besonders gefordert wird, kann es schnell zu einer Überlastung kommen. Wirkt man dieser Haltung mit Ausgleichsübungen und Krafttraining bewusst entgegen, dann verringert sich auch das Risiko von Verspannungen und Schmerzen.

Welche Übungen oder Trainingsarten kannst du empfehlen?

Wie bereits erwähnt, ist Krafttraining im Bereich der Nackenmuskulatur – und dort vor allem der Stabilisatoren der Halswirbelsäule, konkret des Erector spinae, der Multifidiae und der kleinen Muskeln, die den Kopf bewegen, sehr zu empfehlen. Über diese Grundlage hinaus sollten zudem die größeren Muskelgruppen wie der Trapezius und Rhomboidei sowie die Rotatorenmannschette und auch die hintere Schultermuskulatur gestärkt werden. Optimalerweise lässt man sich von Sportmediziner oder Physiotherapeut seine Defizite aufzeigen und geht diese dann mit gezielten Übungen an.

Zusätzlich sind auch Mobilisations- und Dehnungsübungen sehr hilfreich, um Beweglichkeit und Flexibilität zu erhalten.

Der Athletikpartner Corox by Hans Friedl zeigt in den folgenden Trainingseinheiten wie man die Muskulatur rund um den Nacken stärkt und mobilisiert:

https://youtu.be/Fx9RgDyEBuo

https://youtu.be/pyJ1FAa9oF8

https://youtu.be/oe1S4MKleLA

(Quelle: BORA – hansgrohe)